Patienteninformationen


Wenn die Bandscheibe knackt

Bereits heute leiden Millionen Menschen unter akuten oder chronisch wiederkehrenden Kreuzschmerzen... und es werden täglich mehr. Neuesten Statistiken zur Folge sind mittlerweile 20% aller Krankschreibungen auf Schäden der Wirbelsäule zurückzuführen. Eine häufige Ursache für akuten Kreuzschmerz ist der Bandscheibenvorfall. Schon ab dem 10. Lebensjahr verändert sich nämlich der gallertartige Kern der Bandscheibe (Nucleus pulposus) (Abb. 1) in Folge einer fortschreitenden Entwässerung.

Abb. 1: Aufbau der Bandscheibe mit Gallertkern und Faserring. Veränderungen beim Bandscheibenvorfall: Durch Risse im Faserring tritt der Gallertkern aus und kann auf die Nervenwurzel oder das Rückenmark drücken.

Daher sind Patienten im Alter zwischen 25 und 50, deren Wirbelsäule im täglichen Leben stark belastet wird - und zwar nicht nur aufgrund körperlicher Anstrengung -, sondern allein schon durch das eigene Gewicht bevorzugt betroffen. Üppige Mahlzeiten und reichlicher Biergenuß treiben nämlich nicht nur den Zeiger der Waage in die hohen Zahlen, sondern auch die Druckbelastung der Bandscheibe. So belastet ein Mann mit einem Körpergewicht von etwa 100 KG bereits in liegender Position die Bandscheiben einer Lendenwirbelsäule mit Druckwerten von ca. 20-30 KG, beim aufrechten Stand erhöht sich der Druck bereits auf 120 KG, beim vornübergebeugten Oberkörper auf 160 KG und bei gleichzeitigem Anheben eines Ge- wichtes auf bis zu 300 KG.

Die durch Verschleiß veränderte Bandcheibe kann den gallertigen Kern nicht mehr halten und dieser drängt durch den Faserring nach außen, um dort das Rückenmark oder die entsprechende Nervenwurzel zu reizen (Abb. 1).

Aus jeder Lendenwirbelsäulenetage (vom 1. bis zum 5. Lendenwirbel) ziehen rechts und links je 1 Nervenwurzel zum Bein. Die vom Rückenmark zu beiden Seiten abgehende Nervenwurzeln versorgen die Beine mit Sensibilität, Motorik und Reflexen.

Typisch ist der Fall des Patienten Herbert K.: Er habe schon immer mal mehr, mal weniger Kreuzschmerzen verspürt berichtet er. Jedoch am Wochenende habe er beim Umzug mit nach vorne gebeugtem Oberkörper getragen und habe einen plötzlichen starken Schmerz im Rücken mit Ausstrahlung ins Bein verspürt. Seitdem könne er sich nicht mehr richtig bewegen. Die Untersuchung des Patienten zeigt dann die typischen Befunde. Die Muskulatur neben der Wirbelsäule ist stark einseitig verspannt, der Oberkörper leicht nach vorne und stark zur Seite geneigt, eine aktive Bewegungsmöglichkeit in der Lendenwirbelsäule gibt es nicht. Lokal besteht ein deutlicher Klopf- und Druckschmerz im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule. Der Patient klagt über eine Schmerzverstärkung nach Niessen oder Husten oder nach Heben von Lasten. Die weitere Untersuchung ergibt zum Glück keine neurologischen Ausfälle.Die Reflexe sind erhalten, der Patient hat ein normales Oberflächenempfinden im Bereich der Beine und kann alle Muskeln bewegen.

Was ist zu tun? Wäre der Druck des vorgefallenen Bandscheibengewebes auf das Rückenmark und auf die Nervenwurzel so groß, daß es zu Lähmungen gekommen wäre, müsste man einen operativen Eingriff erwägen, bei dem das vorgefallene Bandscheibenmaterial entfernt wird. Solange nur kleine neurologische Ausfälle zu erheben sind, kann man einen konservativen Therapieversuch starten. Im Vordergrund steht dabei die Schmerzreduktion durch geeignete schmerz- und entzündungshemmende Mittel. Die Wirbelsäule soll durch strenge Bettruhe in den ersten Tagen entlastet werden. Hochlagern der Beine gleicht den Hohlrücken aus und erweitert den Rückenmarks- raum, was von den meisten Patienten als angenehm empfunden wird. In diesen er- sten 4-5 Tagen sind auch muskelentspannende Mittel empfehlenswert und können mit Wärmeapplikation (Wärmflasche) kombiniert werden. Im weiteren Verlauf kann man durch Massageanwendungen eine Lockerung der verspannten Rückenmuskulatur erreichen. Werden die Beschwerden weniger empfiehlt sich eine intensive krankengymnastische Therapie zur Kräftigung der Rücken- und Bauchmuskulatur. Ausstrahlende Beschwerden können durch elektrotherapeutische Anwendungen gemildert werden. Mit zunehmender Beschwerdefreiheit kann der Aktivitätsradius des Patienten auch gesteigert werden. Medizinische Trainingstherapie zum Ausgleich der muskulären Dysbalancen gilt als sekundäre Prophylaxe zur Vermeidung weiterer Bandscheibenvorfälle.

Sollte nach 14 Tagen keine entscheidende Schmerzminderung erfolgt sein, kann auch für kurze Zeit ein Kreuzstützmieder zur weiteren Ruhigstellung und zur äußeren Stützung der Wirbelsäule verordnet werden.

Erreicht man trotz intensiver und ausreichender konservativer Therapie keine Schmerzreduktion, so besteht nach 3-6 Monaten auch ohne neurologische Ausfälle eine Operationsindikation.

Lassen Sie es erst gar nicht soweit kommen. Vorbeugen ist grundsätzlich besser als Heilen. Eine Redewendung die man möglichst frühzeitig beherzigen sollte. Natürlich fällt es nicht immer leicht an seine Wirbelsäule zu denken, wenn diese noch gar nicht schmerzt. Doch warum erst warten, bis es zu spät ist. Es ist überhaupt nicht schwer, die Bandscheibe im täglichen Leben zu entlasten - sei es durch aufrechtes Sitzen am Arbeitsplatz, durch kleine Gymnastikpausen auf längeren Autoreisen, durch richtiges Heben und Tragen schwerer Gegenstände oder durch Ausübung bandscheibenfreundlicher Sportarten in der Freizeit z.B. Schwimmen, Skilanglaufund / oder gezieltes Dehnen und Kräftigen unter fachlicher Anleitung.

Wer diese Dinge berücksichtigt, kann auf das Knacken seiner Bandscheibe noch lange warten.


Der Autor: Dr.med. Seuser, Kaiser-Karl-Klinik Bonn (c) 1998 by kkk-bonn